Mehr Wildnis im Garten zulassen

Wenn Sie jetzt jemand auf der Straße fragt, wie viele Arten von Regenwürmern es in Deutschland gibt, ganz spontan, was würden Sie dann sagen? Es sind tatsächlich 46. Weltweit sind es über 3000.[1] Wenn die Natur sich allein vom Regenwurm so viele Varietäten ausgedacht hat, wie vielfältig ist erst all das, was nicht in so ziemlich jedem Kinderbuch eine Rolle spielt? 

Es ist wie mit dem Eisberg. Nur der kleinste Teil der großen Masse ist sichtbar. Wird uns bewusst. Ist vielleicht „erwünscht“ und „willkommen“. Worauf das hinauswill? Im Moment haben viele von uns Gelegenheit, ihre Nachbarschaft zu erkunden. Spazieren zu gehen und sich inspirieren zu lassen. Als nach längerer Schließzeit die Baumärkte und Gartencenter wieder öffneten wurden sie überrannt von pflanzwütigen Bürgern. Rabatten wurden angelegt, Beete gestaltet.

Dabei kann kein Blumenhandel der Welt die Vielfalt abbilden, die sich entwickelt wenn man einfach – das klingt jetzt wirklich sehr banal – NICHTS macht. Nicht mäht, nicht mulcht, nicht buddelt, nicht harkt, nicht pflanzt… Wir haben es irgendwann verlernt, der Natur ihren Lauf zu lassen. 

Es geht nicht darum, die Lust am Gestalten zu bremsen. Das ist etwas, was den Menschen ausmacht. Dass er seine Umwelt formt, auf sie einwirkt, um sich in ihr wiederzufinden oder zu verwirklichen. Beim Blick in viele Gärten scheinen die Menschen aber vor allem eines ausdrücken zu wollen: Ich bin ordentlich, wenige Zentimeter hoch, gleichmäßig sattgrün. Am Rand vielleicht ein bisschen bunt, „wild“, aber immer in Form. Gerade oder kurvig, aber niemals unkontrolliert, zügellos, wild, unvorhersehbar und überraschend. 

Doch gerade diese wilden Ecken wären es, die es braucht, um nicht auf Dauer allein zu bleiben im schönen Garten. Insekten, Amphibien, Vögel, Kleinsäuger brauchen keine Kirschlorbeerhecke, keinen akkuraten Rasen. Sie können damit in aller Regel sogar wenig anfangen, meiden diese Flächen. Sie gehen als Habitat verloren. Aufgeräumte Siedlungen zerschneiden die Landschaft. Tiere wollen diese Ödnis kaum durchqueren und können sie noch weniger nutzen. 

Wenn nun das Insektensterben in aller Munde ist. Eine unser aller Existenz bedrohende Entwicklung, die auch mit Rückgängen bei Vögeln und Fledermäusen und weiteren Jägern einhergeht, dann zeigen viele automatisch erst auf die Landwirtschaft. Sicher, es lässt sich nicht leugnen, dass diese flächenmäßig der größte Raum ist, den es – im wahrsten Sinne – zu beackern gilt. Klar gibt es Fehlentwicklungen und krasse Missstände. Aber wer sind wir, nicht erst vor unserer eigenen Haustür zu schauen, was es da gibt? Darf es denn auch im heimischen Garten in der ein oder anderen Ecke wuchern, blühen, summen und schnuffeln?

Es hat viel mit Gegenseitigkeit zu tun, wenn wir der Landwirtschaft etwas abverlangen. Natürlich müssen wir bereit sein, einen angemessenen Preis für deren Produkte zu zahlen. Wir müssen für Ausgleich sorgen und anerkennen, was getan wird. Wir müssen uns auf etwas einlassen. Alle. 

Jede und jeder kann einen Anfang im eigenen Garten machen. Auch, um den sozialen Druck aus den aufgeräumten, leergefegten Siedlungen zu nehmen.[2] Die Gärten des Grauens sind ein Trend. Eine Eskalation, die mit Natur nichts mehr zu tun hat. Eine Unterdrückung und keine Gelassenheit im Umgang mit dem, was uns umgibt. 

Wenn Sie dieser Tage einen Spaziergang machen wollen gibt es unter vielen schönen Gelegenheiten des Naturerlebens eine tolle Adresse: Die Parzelle 115 des Nabu Osterholz Scharmbeck.[3] Viele Maßnahmen zur Aufwertung des eigenen Gartens sind so einfach, dass sie schon banal erscheinen. Aber alles bringt etwas. Vor allem bringt es Leben in ihre Umgebung.[4] Und wer will schon gerne alleine sein? Was das bedeutet haben uns die vergangenen Wochen doch eindrucksvoll vor Augen geführt…. 

Wir freuen uns übrigens gerade in OHZ über die vielen, vielen tollen Gärten. Wilde, bunte, ungezähmte aber auch herrlich angelegte und artenreiche, vielfältige, durchdachte Naturgärten hat unsere Kommune zu bieten. Es lohnt sich, auf Entdeckungstour zu gehen und auch einmal Kontakt zu den Gartenbesitzern aufzunehmen! So lernt man nicht nur phantastische, nette Menschen kennen sondern kann auch noch voneinander lernen und sich austauschen. Ob mit Samen, Pflänzchen oder Zuspruch. Wir haben da wirklich gute Erfahrungen gemacht. 🙂

[1] https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/sonstige-arten/02265.html

[2] www.heise.de/tp/features/Kurzgeschorene-Rasen-muessen-peinlich-werden-4443351.html

[3] https://www.nabu-osterholz-scharmbeck.de/

[4] www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/aktivitaeten/gaerten/18766.html

Auch schön: landshut.bund-naturschutz.de/fileadmin/kreisgruppen/landshut/dokumente/20180706_Tatort-Garten_Rabenstein_PNP.pdf

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