Die Rede unserer stellv. Bürgermeisterin Brigitte Neuner-Krämer zur Gedenkveranstaltung am 09.11.2023 in Osterholz-Scharmbeck

Heute jährt sich die Nacht des  9. Novembers zum 85. Mal . Heute vor 85 Jahren erreichte der Hass und die Gewalt gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland einen vorläufigen traurigen Höhepunkt. In der Nacht zum 10. November wurden hunderte Synagogen und Friedhöfe angezündet und geschändet, tausende Geschäfte zerstört und zehntausende Menschen geschlagen, getötet, in Konzentrationslager verschleppt, wo sie anschließend gequält und getötet wurden. Die Pogromnacht war ein schrecklicher Auftakt zu etwas noch viel Schlimmerem. Wenige Jahre später wurden Juden aus ganz Europa zu Hunderttausenden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet. 

Auch in Osterholz-Scharmbeck schlugen Flammen aus der  Synagoge. Genau an dieser Stelle – entzündet von Nationalsozialisten. Nach Augenzeugenberichten wurde die Fassade mit Naziparolen beschmiert, die Scheiben eingeschlagen und die Tür und das Mobiliar zertrümmert und angezündet. Dem  mutigen Ortsbrandmeister ist es zu verdanken, dass der Brand gelöscht wurde. Und auch in Osterholz-Scharmbeck wurden in dieser Nacht jüdische Familien aus dem Schlaf gerissen, aus ihren Häusern gezerrt brutal zusammengeschlagen und  in die Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Die jüdischen Bürger der Stadt waren, Ärzte, Unternehmer, Handwerker, Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen Kaufleute waren Künstler, Kollegen, Nachbarn. Nur Wenige kehrten jemals zurück.Alle konnten das sehen. Doch nur ganz wenige halfen ihren Mitbürgern dabei, Schutz vor den Nationalsozialisten zu finden. Die große Mehrheit schaute weg, schwieg, verdrängte.

Unser Auftrag ist, die Erinnerung an den Terror der Nationalsozialisten , das NS-Unrecht lebendig zu halten und die daraus erwachsende Verantwortung anzunehmen .Es ist unsere historische Verantwortung das Schutzversprechen nach dem Holocaust mit der Gründung Israels einzulösen und  dafür zu sorgen, dass Jüdinnen und Juden frei und ohne Angst bei uns und auf der Welt leben können.

Heute –  85 Jahre nach den Novemberpogromen   erleben wir einen besorgnisserregenden Anstieg des Antisemitismus, der jüdisches Leben in unserem Land und anderen sicher geglaubten Orten der Welt bedroht. Dieser Antisemitismus entlädt sich zunehmend offen in einer teils ungehemmten Hetze im Internet wie auch ganz allgemein im öffentlichen Raum. 

 Das Bundesinnenministerium zählte für 2022 bereits mehr als fünf antisemitische Straftaten pro Tag. Im laufenden Jahr wurden schon mehr als 1500 antisemitische Straftaten erfasst. Nie wieder ist keine Leerformel. Nie wieder bedeutet vor allem hier und heute entschieden gegen jede Form des Antisemitismus einzutreten.  Nie wieder ist jetzt.

Die Solidarität mit dem israelischen Volk gegen den brutalen Überfall der Hamas kann nicht in Frage gestellt werden. Die Hamas kämpft für eine Auslöschung des Staates Israel und den Tod aller Juden. Gleichwohl muss es möglich sein, Mitgefühl mit dem unermesslichen Leid der Zivilbevölkerung in Gaza zu zeigen und alles dafür zu tun, dass in diesem Krieg das Völkerrecht und internationale Standards maßgeblich sind. Und ja, Kritik an der Politik Israels ist erlaubt. Und wir verschließen die Augen nicht vor Ungerechtigkeit und Gewalt gegen die Menschen in Gaza und auf der Westbank. Jedoch, die Hamas ist keine Freiheitsbewegung, sondern eine mordende Terrorgruppe.Das Existenzrecht Israels und das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat – beides ist Voraussetzung für Hoffnung und Frieden beider Völker.

Menschlichkeit und Versöhnung sind der Kompass und die Lehren aus der Erinnerung an unsere  Vergangenheit. Die Aktualität dieser Gedenkstunde zur Reichsprogromnacht 1938 könnte in unserer Zeit größer nicht sein. 

Es werden jetzt die Namen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger unserer Stadt  verlesen, die Opfer des nationalsozialistischen Terrors wurden. 

Wir werden sie nie vergessen.

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